C. Rusterholz: Women’s Medicine

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Title
Women’s Medicine. Sex, Family Planning and British Female Doctors in Transnational Perspective, 1920–1970


Author(s)
Rusterholz, Caroline
Series
Social Histories of Medicine
Published
Manchester 2020: Manchester University Press
Extent
280 S.
by
Theresa Angenlahr

Die Geschichte von Familienpolitik, Familienplanung und Sexualität im Grossbritannien des 20. Jahrhunderts ist seit einigen Jahren ein dynamisches Forschungsfeld. Einen wichtigen neuen Beitrag dazu leistet Caroline Rusterholz’ 2020 erschienenes Buch Women’s Medicine. Darin untersucht die in Freiburg i. Ü. promovierte Autorin, nun Wellcome Trust Research Fellow in Cambridge, die nationale und internationale Bedeutung britischer Ärztinnen im Medikalisierungsprozess der Familienplanung von den 1920er bis 1970er Jahren.

Im ersten Kapitel, das wie alle folgenden durch klare Leserführung und Argumentation besticht, beleuchtet Rusterholz die Rolle britischer Ärztinnen bei der Verbreitung von medizinischem Wissen um Empfängnisverhütung. In der im Untersuchungszeitraum männlich dominierten Profession arbeiteten sie häufig in den weniger populären Bereichen Gynäkologie und Geburtshilfe. Dabei, so ein wichtiger Befund der Studie, trug gerade der marginale Status dieser Domänen dazu bei, dass Ärztinnen hier Gestaltungsspielräume besassen, die sie nutzten, um Familienplanung als legitimes medizinisches Feld zu etablieren und sich selbst zugleich als Expertinnen zu positionieren. Zentral dabei war die Eröffnung von Kliniken zur Verhütungsberatung seit den 1920er Jahren sowie ihre Pionierrolle bei der Ausbildung von Kolleginnen. Ein wesentliches Ziel, Empfängnisverhütung in den Curricula universitärer Medizinerausbildung zu verankern, erreichten sie im Untersuchungszeitraum allerdings nicht (S. 76).

Das zweite Kapitel zeigt, wie britische Ärztinnen in Reaktion auf Anfragen ihrer Patientinnen ab Mitte der 1930er Jahre ihre Beratungsaktivitäten auf Subfertilitätsprobleme – Infertilität sowie sexuelle Störungen – ausweiteten. Dieser Ansatz markierte eine neue, ganzheitliche Herangehensweise an die Familienplanung (S. 85) und stellt Rusterholz zufolge zugleich das in der Forschung häufig präsupponierte hierarchische Arzt-PatientenVerhältnis infrage (S. 128). Auch hier erzählt die Studie keine Whig history: So vermittelten Fortbildungen zu Sexualberatung Medizinerinnen ab 1958 wiederum traditionellere Sichtweisen auf Geschlechterverhältnisse und Sexualität als in vorherigen Jahrzehnten üblich (S. 119).

In den folgenden drei Kapiteln arbeitet die Studie mit trans- beziehungsweise internationalen Perspektiven; das dritte Kapitel ist dabei, wie das folgende, als Vergleich- und Transferuntersuchung zwischen Grossbritannien und Frankreich angelegt. Es analysiert die Haltung von Ärztinnen beider Länder zu Verhütungsfragen auf internationalen Konferenzen in den 1920er und 1930er Jahren. Der recht kurz gehaltene direkte Vergleich macht die Bedeutung nationaler Erfahrungen deutlich: Während französische Medizinerinnen infolge des pronatalistisch motivierten Gesetzes von 1920, das inländische Werbung für Verhütungsmittel unter Strafe stellte, letztere als ineffizient und gefährlich ablehnten (S. 159), sahen ihre britischen Kolleginnen darin unter anderem ein Mittel zur Bekämpfung illegaler Schwangerschaftsabbrüche (S. 162).

Britische Ärztinnen setzten sich seit den späten 1920er Jahren für die Formierung einer internationalen Bewegung zur Geburtenregelung ein, wie das vierte Kapitel nachzeichnet. Bei der Reaktivierung dieser Netzwerke nach 1945 traten sie auf Konferenzen zunächst hinter ihre männlichen Kollegen zurück (S. 189). Darüber hinaus untersucht das Kapitel die Vorbildfunktion der britischen auf die französische Familienplanung in den 1930er bis 1950er Jahren.

Im fünften Kapitel werden Intrauterinpessare als Fallbeispiel dafür genutzt, wie britische Ärztinnen als medizinische Expertinnen agierten und durch ihre Erfahrungen auf internationalen Konferenzen sowie ihre eigene Praxis die britische Forschung in diesem Bereich wesentlich voranbrachten.

Weitgehend aussen vor lässt Rusterholz in ihrer Studie explizit die Selbstwahrnehmung und Motivation der einzelnen Ärztinnen (S. 22). Diese Auslassung ergibt sich vermutlich aus der Quellenlage, ist aber dennoch etwas bedauerlich, da auch infolgedessen die titelgebenden Protagonistinnen bis auf wenige herausragende Einzelfiguren als weitgehend homogenes Akteursfeld erscheinen. Gern würde man mehr darüber erfahren, inwiefern jene sich – möglicherweise auch generationsabhängig – in ihren Ideen und Ansätzen unterschieden. Wünschenswert wäre es auch gewesen, die zentralen Akteurinnen systematisch einzuführen. Das der Studie vorangestellte Personenverzeichnis stellt lediglich acht Ärztinnen vor, deren Auswahl nicht transparent wird. Die weiteren Karriere- und Lebenswege in den 1970er Jahren im Fazit werden darüber hinaus nur bei vier Protagonistinnen skizziert. Ungeachtet dessen betritt die auf breiter Quellenbasis fussende Studie in mehrerlei Hinsicht Neuland. Das gilt für die bislang weitgehend vernachlässigte Fokussierung auf Ärztinnen als Akteurinnen von Familienplanung ebenso wie für das überzeugende Herausarbeiten nicht-linear verlaufender Entwicklungen. Da die Forschung in diesem Feld bis anhin in erster Linie die jeweiligen nationalen Ebenen beleuchtete,1 sind die trans- und internationalen Ansätze dieser Studie als besonders innovativ hervorzuheben. So bildet das Werk einen inhaltlich und methodisch anregenden Beitrag zur Geschichte britischer sowie französischer Familienplanung im 20. Jahrhundert.

Anmerkung:
1 Eine Ausnahme bildet ein Vergleich zur Gesetzgebungsgenese britischer und französischer Reproduktionspolitik, der allerdings Transfers ausser Acht lässt: Melanie Latham, Reproductive Politics. A Century of Conflict in Britain and France, Manchester 2002. Einen ersten wichtigen Vorstoss zu einer genuin transnationalen Perspektive ist die 2019 erschienene Ausgabe der Zeitschrift Medical History und insbesondere folgender Aufsatz: Jesse Olyszynko-Gryn, Caroline Rusterholz, Reproductive Politics in Twentieth-Century France and Britain, in: Medical History 63/2 (2019) S. 117–133.

Zitierweise:
Angenlahr, Theresa: Rezension zu: Rusterholz, Caroline: Women’s Medicine. Sex, Family Planning and British Female Doctors in Transnational Perspective, 1920–1970, Manchester 2020. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 72 (2), 2022, S. 321-323. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00108>.

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